Träume und Traumdeutung
Unsere Psyche ist ein Teil der Natur und ebenso unbegrenzt wie
diese. Sigmund Freud war der erste, der auf empirische Weise
den unbewussten Hintergrund unseres Bewusstseins erforscht hat.
Er ging von der Annahme aus, dass Träume nicht zufällig
erscheinen, sondern mit bewussten Gedanken und Problemen in
Zusammenhang stehen.
Als erfahrene Psychotherapeutin im Umgang mit Träumen
von Klienten weiß ich, dass Traumsymbole viel mannigfaltiger
und ausdrucksstärker sind als die körperlichen Symptome
einer Neurose.
Deshalb ist es auch gut, dass wir uns, so weit man in der
Geschichte zurück blickt, für die Träume interessieren.
In der jüdisch christlichen Tradition finden wir Hinweise
darauf, dass Träume oft eine große Rolle gespielt
haben, wie z. B. im alten Testament die Träume des ägyptischen
Josef, der mit einigen seiner Träume in die Geschichte
eingegangen ist und am Hofe des Pharaos zu Macht und Ehren
kam.
Im Talmud spricht man von Träumen als reinen Naturprodukten,
weil sie dann geschehen, wenn Bewusstsein und Wille größtenteils
ausgeschaltet sind. Die Tatsache, dass es nach dem Talmud
zur Zeit Jesu in Jerusalem 24 Traumdeuter gab, weist darauf
hin, welche Rolle die Traumdeutung damals gespielt hat.
Aber auch im Schamanismus war die Traumdeutung schon immer
bedeutsam. So konnte der sogenannte große Traum des
Schamanen für den ganzen Stamm zur Vision werden und
Orientierung in Lebensfragen geben.
Auch griechische und indische Denker waren der Ansicht,
dass somatische Prozesse durch die Traumsymbole angezeigt
werden und dass innere körperliche Dispositionen durch
die Deutung von Träumen zu erkennen sind.
In jüngster Zeit ist es die Tiefenpsychologie gewesen,
die den Traum in den Mittelpunkt des Interesses gerückt
hat. Nach Freud ist er die via regia, der Königsweg zum
Unbewußten.
Unter dem Eindruck der Tiefenpsychologie sind die Träume
zu Ehren gekommen, weil sie mit dem Konzept des Unbewussten
sehr verbunden sind. Das Bewusstsein ist eben nur eine Seite
des Lebens und was dort nicht Platz hat, wird ins Unbewusste
verschoben, bildet dort dafür ein eigenes Sprachrohr
und findet sich so wieder in den Träumen und Symbolen
(z. B. in Mythen, Märchen, Sagen und Legenden).
Deshalb ist auch die gefühlsmäßige Wirkung
der Träume besonders wichtig, weil wir sie nur dann richtig
verstehen können.
Aber nicht nur die Tiefenpsychologie, auch die klinische
Schlafforschung hat sich mit dem Phänomen Traum befasst
und experimentelle Untersuchungen angestellt. Wir wissen nun,
dass es verschiedene Schlafphasen gibt und die für uns
interessant sind die sogenannten REM-Phasen (rapid eye movement).
Die Hauptzahl unserer Träume fällt in dieses Stadium.
Um die Bedeutung des Träumens zu veranschaulichen,
sei kurz zusammengefasst: der Erwachsene hat drei bis vier
REM-Phasen pro Nacht und daher eine gleiche Anzahl von Träumen,
die erinnert werden können.
Wir verbringen also ein Viertel unserer Schlafzeit im Traum.
Wie wichtig der Traum für die seelische Gesundheit ist,
haben die Forschungen auch gezeigt:
Ein Totalentzug der REM-Phasen kann psychoseähnliche
Gestörtheiten zur Folge haben, eine experimentelle Verminderung
der REM-Phasen kann bei Depressiven eine Besserung bringen.
Die Jungianerin Ingrid Riedl, beschreibt die Träume
als hilfreiche innere Fahrpläne in den verschiedenen
Lebensübergängen: Kindheit, Adoleszenz, Erwachsenenalter,
Wechseljahren und Alter. Also überall da, wo Neubeginn,
Trennung und Abschied ein wichtiges Lebensthema darstellt.
Riedl: In solchen Umbruchzeiten sind wir in vielerlei Hinsicht
krisenanfällig. Altbekannte psychische und somatische
Störungen können plötzlich wieder akut werden.
Damit kommt der Zug, den wir in einer früheren
Lebensphase vielleicht versäumt hatten, tatsächlich
noch einmal vorbei, zugleich aber auch beladen mit unseren
immer noch ungelösten Problemen.
Gewiss überrascht es uns, wenn wir zunächst noch
einmal in alte Beziehungsmuster zurückfallen, doch angesichts
dieses noch einmal vorbeikommenden Zuges besteht auch die
Chance, eine der Entwicklungsaufgaben, die wir bis jetzt noch
nicht optimal meistern konnten, erneut anzugehen und zu einer
wirklichen Lösung zu finden.
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